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Anna Enquist – Die Seilspringerin

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Der Titel von Anna Enquists neuem Roman – „Die Seilspringerin“ – hat einen kunstgeschichtlichen Bezug: 1976 schuf der niederländische Maler Co Westerik ein 18 Meter hohes Wandbild für ein Polizeirevier in Rotterdam. Es zeigt ein seilspringendes Mädchen. Zwölf Jahre später aber wurde dieses „Rope Jumping Girl“ zusammen mit der Polizeistation abgerissen. Ein Nachleben hat dieses Gemälde nun bei Anna Enquist.

Ein 18 Meter großes Wandbild wird abgerissen

Für ihre Protagonistin Alice Augustus wird es zum Sinnbild des eigenen Lebens: In der kunstfertigen, schwerelosen jungen Frau auf dem Gemälde, erkennt sich Alice wieder. Aber auch im Abbruch, im Abriss der Wand – das Mädchen landet auf dem Boden der Tatsachen so wie die Komponistin Alice in der Realität des Lebens. Selbst in Momenten des Erfolgs holen sie Gefühle des Zweifels, der Scham, der Unzulänglichkeit ein.
Meine Mutter hat recht, ich habe einen schlechten Charakter. Das ist angeboren, unabänderlich. Zum Glück kann ich noch schöne Dinge machen. Es könnte schlimmer sein.

Quelle: Anna Enquist – Die Seilspringerin

Ja, es könnte schlimmer sein: Da ist zwar der Mutterkomplex, da ist die verkorkste Liebesgeschichte mit ihrem viel älteren Professor, eine Fehlgeburt in jungen Jahren, heimlich geschriebene Werbejingles als Brotjob, die Ehe mit einem wirklichkeitstüchtigen Finanzjuristen und der plötzlich aufkeimende Kinderwunsch, der sich nicht bändigen lässt. Da ist aber auch die ernste Musik, die ungeheure Klangwelt in ihrem Innern, in der sie sich verlieren kann und zu sich selbst kommt. Neurotisch-kompliziertes Leben und weltentbundene Klangkunst – zwischen diesen beiden Sphären herrscht eine unangenehme Spannung.

Kunst oder Kind – Alice muss sich entscheiden

Lässt sich das Streben nach neuen musikalischen Strukturen durch biographische Zufälle und Entscheidungen noch nachvollziehen, so ist die Kinderwunsch-Obsession allerdings kaum vorbereitet: Natürlich gibt es biologistische Faktoren – die sprichwörtliche Uhr tickt. Man darf auch vermuten, dass Alice mit einer Tochter – sie wünscht sich eine Tochter! – das Verhältnis zur eigenen Mutter überschreiben möchte. Weil Alice nicht schwanger wird, steigert sich das Verlangen ins Manische, obwohl sie zugleich im Muttersein eine Gefahr für ihre künstlerische Kreativität erkennt. All das ist in ihren Augen ein weiterer Beweis für ihre Unzulänglichkeit – und für die Lesenden eine durchaus enervierende Verzweiflungsspirale. Gleichwohl gibt es viel, was für Enquists „Seilspringerin“ einnimmt, etwa wie die Autorin seelische Verstimmungen mit musikalischen Motiven verknüpft. Enquist schafft für ihre Erzählerin einen teils sarkastischen, teils schonungslos ehrlichen Ton, als würde man einer langen Therapiesitzung beiwohnen – eine Stimme, in deren Timbre sich Widersprüche und Widerstreit eingeschrieben haben. Wir sind zuweilen ganz in den schwindlig machenden Denkschleifen, im Teufelskreis der Erinnerungen ihrer Alice gefangen. Die Intensität entsteht, weil die personale Erzählweise kaum Distanz zur Protagonistin zulässt. Ihre Ängste, ihre Unsicherheit, ihre Perfektionslust, ihre Verzweiflung werden spür-, wenn auch nicht immer verstehbar.

Schnell zurück an den Schreibtisch!

Ach ja, sie sitzen in einem Restaurant, da muss bestellt und gegessen werden. Jetzt mit dem Kopf dabeibleiben, denkt sie, gib jetzt nur nicht dieser Mutlosigkeit nach, später darf ich wieder an den Schreibtisch, ans Klavier, etwas machen, etwas, wohinter ich stehe und worüber ich mich freuen kann, etwas, das wirklich meins ist. Denk an Haydn, der konnte seinen Erfolg aufrichtig genießen und sich als wertvoller Komponist fühlen. […] Er ist ihr Vorbild.

Quelle: Anna Enquist – Die Seilspringerin

Die Wucht der Biologie gegen die Unbedingtheit der Kunst – das ist ein bisschen apodiktisch, antiquiert, reduktionistisch. Aber zum Glück gibt es bei Enquist genug Störmomente und Irritationen, die Eindeutigkeiten bis zum Finale im Amsterdamer Konzerthaus unterlaufen. Ein ambivalentes Urteil also: ein etwas einfach gestrickter Roman mit einer komplex tickenden Figur.
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Ein 18 Meter großes Wandbild wird abgerissen

Für ihre Protagonistin Alice Augustus wird es zum Sinnbild des eigenen Lebens: In der kunstfertigen, schwerelosen jungen Frau auf dem Gemälde, erkennt sich Alice wieder. Aber auch im Abbruch, im Abriss der Wand – das Mädchen landet auf dem Boden der Tatsachen so wie die Komponistin Alice in der Realität des Lebens. Selbst in Momenten des Erfolgs holen sie Gefühle des Zweifels, der Scham, der Unzulänglichkeit ein.
Meine Mutter hat recht, ich habe einen schlechten Charakter. Das ist angeboren, unabänderlich. Zum Glück kann ich noch schöne Dinge machen. Es könnte schlimmer sein.

Quelle: Anna Enquist – Die Seilspringerin

Ja, es könnte schlimmer sein: Da ist zwar der Mutterkomplex, da ist die verkorkste Liebesgeschichte mit ihrem viel älteren Professor, eine Fehlgeburt in jungen Jahren, heimlich geschriebene Werbejingles als Brotjob, die Ehe mit einem wirklichkeitstüchtigen Finanzjuristen und der plötzlich aufkeimende Kinderwunsch, der sich nicht bändigen lässt. Da ist aber auch die ernste Musik, die ungeheure Klangwelt in ihrem Innern, in der sie sich verlieren kann und zu sich selbst kommt. Neurotisch-kompliziertes Leben und weltentbundene Klangkunst – zwischen diesen beiden Sphären herrscht eine unangenehme Spannung.

Kunst oder Kind – Alice muss sich entscheiden

Lässt sich das Streben nach neuen musikalischen Strukturen durch biographische Zufälle und Entscheidungen noch nachvollziehen, so ist die Kinderwunsch-Obsession allerdings kaum vorbereitet: Natürlich gibt es biologistische Faktoren – die sprichwörtliche Uhr tickt. Man darf auch vermuten, dass Alice mit einer Tochter – sie wünscht sich eine Tochter! – das Verhältnis zur eigenen Mutter überschreiben möchte. Weil Alice nicht schwanger wird, steigert sich das Verlangen ins Manische, obwohl sie zugleich im Muttersein eine Gefahr für ihre künstlerische Kreativität erkennt. All das ist in ihren Augen ein weiterer Beweis für ihre Unzulänglichkeit – und für die Lesenden eine durchaus enervierende Verzweiflungsspirale. Gleichwohl gibt es viel, was für Enquists „Seilspringerin“ einnimmt, etwa wie die Autorin seelische Verstimmungen mit musikalischen Motiven verknüpft. Enquist schafft für ihre Erzählerin einen teils sarkastischen, teils schonungslos ehrlichen Ton, als würde man einer langen Therapiesitzung beiwohnen – eine Stimme, in deren Timbre sich Widersprüche und Widerstreit eingeschrieben haben. Wir sind zuweilen ganz in den schwindlig machenden Denkschleifen, im Teufelskreis der Erinnerungen ihrer Alice gefangen. Die Intensität entsteht, weil die personale Erzählweise kaum Distanz zur Protagonistin zulässt. Ihre Ängste, ihre Unsicherheit, ihre Perfektionslust, ihre Verzweiflung werden spür-, wenn auch nicht immer verstehbar.

Schnell zurück an den Schreibtisch!

Ach ja, sie sitzen in einem Restaurant, da muss bestellt und gegessen werden. Jetzt mit dem Kopf dabeibleiben, denkt sie, gib jetzt nur nicht dieser Mutlosigkeit nach, später darf ich wieder an den Schreibtisch, ans Klavier, etwas machen, etwas, wohinter ich stehe und worüber ich mich freuen kann, etwas, das wirklich meins ist. Denk an Haydn, der konnte seinen Erfolg aufrichtig genießen und sich als wertvoller Komponist fühlen. […] Er ist ihr Vorbild.

Quelle: Anna Enquist – Die Seilspringerin

Die Wucht der Biologie gegen die Unbedingtheit der Kunst – das ist ein bisschen apodiktisch, antiquiert, reduktionistisch. Aber zum Glück gibt es bei Enquist genug Störmomente und Irritationen, die Eindeutigkeiten bis zum Finale im Amsterdamer Konzerthaus unterlaufen. Ein ambivalentes Urteil also: ein etwas einfach gestrickter Roman mit einer komplex tickenden Figur.
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